Den Kühlschrank oder lieber den Tank füllen? Im Vereinigten Königreich wird diese Frage angesichts explodierender Preise für viele immer akuter.
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Vereinigtes Königreich: Auch der deutliche Anstieg der Energiepreise könnte einkommensschwache Familien überproportional treffen. - dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • Die Inflation in Grossbritannien ist grösser als in anderen G7-Staaten.
  • Die Verteuerung droht weiter zuzunehmen.
  • Doch bis zum Regierungswechsel Anfang September geschieht wohl wenig.

Die ohnehin stark gestiegenen Verbraucherpreise haben in Grossbritannien erneut einen Sprung gemacht. Im Juli kletterte die Inflation auf 10,1 Prozent und damit auf die höchste Rate seit 25 Jahren. Dies teilt das nationale Statistikamt ONS mit.

Nach einer Rückrechnung des ONS dürfte die Inflation zuletzt im Jahr 1982 höher gelegen haben. Der Anstieg toppt selbst Erwartungen von Experten: Analysten hatten im Schnitt nur mit einem Anstieg von 9,4 auf 9,8 Prozent gerechnet.

Eine grosse Bandbreite an Preissteigerungen habe zu diesem Rekordwert geführt, sagte der ONS-Chefökonom Grant Fitzner. «Lebensmittelpreise sind stark gestiegen, vor allem Backwaren, Milchprodukte, Fleisch und Gemüse». Im Vergleich zum Juni steigerten sich die Preise im Juli noch einmal um 0,6 Prozent.

Das sei eigentlich untypisch, meint Fitzner, da im Juli üblicherweise viele Rabattangebote in den Einkaufsstrassen zu einer sinkenden Inflation führten. Im Monatsvergleich wurden Kleidung und Schuhe auch diesmal tatsächlich billiger. Allerdings stiegen die Preise für Lebensmittel sowie Transportkosten umso stärker an.

Vereinigtes Königreich kämpft gegen steigende Energiepreise

Für rund die Hälfte des Anstiegs seien die steigenden Energiepreise verantwortlich, erklärte Fitzner. Die Preisexplosion in diesem Sektor wird aber erst im Herbst voll durchschlagen. Dies, wenn die in Grossbritannien derzeit noch mit einem Preisdeckel regulierten Energiepreise deutlich ansteigen werden.

Da jeder Haushalt Brot und Strom braucht, trifft es ärmere Haushalte stärker, wenn Preise für Alltagsgüter in die Höhe schnellen.

Doch für niemanden ist Entspannung in Sicht: Da im Herbstquartal Energiepreise deutlich steigt, rechnen offizielle Schätzungen damit, dass die Konsumentenpreise die Marke von 13 Prozent übersteigen könnten.

Auf die Politik wächst der Druck, entschieden gegenzusteuern. Finanzminister Nadhim Zahawi erklärte den Kampf gegen die Inflation zwar zur «Top-Priorität». De facto wollen er und Boris Johnson aber bis zum Regierungswechsel Anfang September keine grösseren Entscheidungen mehr treffen.

Rishi Sunak, einer der beiden verbleibenden Kandidaten für die Johnson-Nachfolge hat bereits Entlastungspakete versprochen. Doch die Favoritin für das Spitzenamt ist Aussenministerin Liz Truss.

Sie will Steuersenkungen trotz allen Warnungen durchsetzen. Sie hofft, die Inflation so zu kontrollieren. Auf Entlastungszahlungen wollte sich die 47-Jährige bislang nicht festlegen.

Die Bank of England stemmt sich seit einiger Zeit mit Zinsanhebungen gegen die hohe Inflation. Sie hat ihren Leitzins seit November mehrmals auf zuletzt 1,75 Prozent angehoben. Es wird damit gerechnet, dass die Bank diesen Kurs fortsetzen wird.

Vereinigtes Königreich: Höhere Inflation als bei G7

Die Preise im Vereinigten Königreich steigen noch als in anderen G7-Ländern. Laut der «Financial Times» ist dem so, da britische Unternehmen die Preissteigerungen direkter an Kunden weitergeben. Zudem waren die Briten im vergangenen Jahr deutlich konsumfreudiger. Auch ist der Lohn im privaten Sektor angestiegen.

Da der öffentliche Sektor bei Lohnerhöhungen deutlich hinterherhinkt, wächst dort die Unzufriedenheit. Es deutet sich eine Streikwelle an, die sich zu der grössten seit den 70er Jahren auswachsen könnte.

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